Erlebte Geschichte in Warendorf
Die Warendorfer Gasanstalt
von Eugenie Haunhorst

Eugenie als Schülerin 1921Es ist kaum zu glauben: Warendorf war nach dem 1. Weltkrieg Selbstversorger für Strom und Gas. Das Warendorfer Elektrizitätswerk erzeugte durch die Wasserkraft der Ems die damals notwendige Strommenge. Heimatverein Warendorf: Gaserzeugung in der Warendorfer Kokerei um 1902In der Gasanstalt wurde die erforderliche Gasmenge produziert.

Ich bin am Münstertor aufgewachsen. Darum gehörte die Gasanstalt zum Spielumfeld meiner Kinderjahre. Davon möchte ich gerne erzählen.

 

Wenn wir Kinder den Schulhof der Münsterwallschule zur Gasstraße (heute Wallpromenade) überquerten, war hinter dem großen Haus von Bürgermeister Ewringmann die Gasanstalt. Die großen Gasometer waren für unsere Kinderaugen gewaltig, besonders wenn der große Tank gefüllt war. Ich schätze die Höhe auf etwa 20 Meter. Der zweite Tank war meist gering gefüllt. Besonders im Winter war das Zusehen bei der Gasgewinnung spannend und gleichzeitig angenehm. Kamen wir vom Rodeln oder vom Schlittschuhlaufen auf der zugefrorenen Ems zurück, durften wir uns in der warmen Halle aufwärmen.

Schon von weitem sahen wir die noch glühenden Koksberge links vor der Halle liegen. Das wirkte in der Dämmerung sehr gespenstisch.

In der Halle standen die riesigen Kokereiöfen. Wie zwei Feuerbälle leuchtete uns das Gasfeuer aus den runden Ofentüren entgegen.

Auf einem Gestell lag eine etwa 2-3 m lange, halbrunde Schaufel mit Steinkohle gefüllt. Die Gasarbeiter schoben diese Schaufel in ein rundes Feuerloch, drehten die Schaufel um und zogen sie schnell wieder heraus. Durch die sehr große Hitze begann die Gasaustreibung.

Nach einer gewissen Zeit wurde mit der langen, fahrbaren Schaufel die rote Kohlenglut aus dem Ofen geholt und draußen ausgeschüttet. Zur schnellen Auskühlung wurde Wasser über den glühenden Kohleberg gegossen. Riesige Dampfwolken stiegen zum Himmel. Wir mussten immer großen Abstand halten, denn der heiße Wasserdampf war gefährlich.


Heimatverein Warendorf: Kokereiöfen mit ausfahrbaren Ofenröhren um 1920Für die Gaswerksarbeiter war es eine schwere und heiße Arbeit. Durch den Staub waren ihre Gesichter immer schwarz. Wir fürchteten die Männer aber nicht, denn wir kannten sie ja. Die Gaserzeugung aus der Steinkohle war der größte Nutzeffekt. Die abgekühlte Glut war der Koks. Er war ein begehrter Brennstoff für Heizungsöfen. Wer es sich leisten konnte, legte für das ganze Haus eine Zentralheizung an, meistens stand ein mit Koks befeuerter Heizkessel im Keller. Ein anderes verwertbares Nebenprodukt der Kokerei war der Teer.

 

Schon seit 1865 wurde der Marktplatz mit Gaslaternen beleuchtet, das war sehr fortschrittlich für diese kleine Stadt. Nach und nach wurden auch in den Straßen Laternen angebracht. Schöne schmiedeeiserne Lampenarme mit einer aufgesetzten Glaskuppel, in der sich der Glühstrumpf befand, waren an den Hausecken angebracht, die zudem auch Straßenecken waren. So wurden zwei Straßenzüge mit einer Lampe beleuchtet.


Wenn wir im Winter in der Dämmerung auf der Straße spielten, konnten wir das allabendliche Schauspiel des Laternenanzündens erleben. Der Laternenanzünder ging mit einer langen Stange, die am oberen Ende eine Flamme hatte, von Straßenlaterne zu Straßenlaterne. Hier zog er an einer herunter hängenden Schnur, wodurch eine Öffnung des Gashahnes bewirkt wurde. Mit seinem brennenden Gasstab entzündete er die Gasflamme. Um dieses kleine Schauspiel erneut leben zu können, liefen wir Kinder bis zur nächsten Straßenecke hinter dem Laternenanzünder her.

Am nächsten Morgen ging der Lampenwärter wieder von Gaslampe zu Gaslampe, zog an der anderen Schnur, so dass die Gaszufuhr gestoppt wurde und die Gasflamme erlosch.

 

Für die Beleuchtung der Wohnungen und später auch das Kochen auf dem Gaskocher, war das Gas eine begehrte Energiequelle. Die Gasbeleuchtung war verglichen mit den Petroleumlampen ein großer Fortschritt. Für das Klima in den Wohnräumen war das Gas aber wohl nachteilig, denn unsere Palme im Wohnzimmer ging nach kurzer Zeit ein.Das änderte sich, als wir 1923 elektrisches Licht bekamen.

 

Es war vielen Müttern bekannt, dass die Luft in der Gasanstalt zur Gesundung ihrer an Keuchhusten erkrankten Kinder beitragen konnte. Mehrere Male hielten sie sich mit dem erkrankten Kind vor den großen Öfen auf. Ob die Wärme oder die Zusammensetzung der Luft die Besserung brachte, weiß man nicht. Das Vertrauen in diese Heilmethode war groß.

 

Diese Gasanstalt hat von 1863 bis 1950 bestanden. Ein privates, kleines Gaswerk gab es für kurze Zeit im Garten der Harmonie an der Münsterstraße.

Tüchtige Bürgermeister wie Joseph Zumloh (1856-1869) und Wilhelm Diederich (1869-1904) haben sich um das große Gaswerk verdient gemacht. Die Stadt verkaufte dieses Werk 1917 an die Elektrizitätswerke. 1929 wurde das Gaswerk Eigentum der VEW. Langjähriger Leiter des Gaswerkes war Franz Hilker, der seine Dienstwohnung am Gaswerk hatte. Er war ein sehr geachteter Warendorfer Bürger, darum wurde sein plötzlicher Tod bei der Hagelprozession (eine Bittprozession gegen Unwetter) 1934 sehr bedauert.

 

1950 wurde der Betrieb der Gasanstalt eingestellt. Die VEW nutzte das Gelände für ihre Verwaltung bis zur Jahrtausendwende.

 

Die Autorin Eugenie Haunhorst geb. Göcke wurde 1912 in Warendorf geboren und wuchs in einer Lehrerfamilie mit vier Geschwistern auf. Im Alter von 90 Jahren begann sie, Erinnerungen aus ihrem Leben im Warendorf der 1920er Jahre aufzuschreiben. Sie starb 2016 im Alter von 103 Jahren.

Bild: Archiv der Altstadtfreunde Warendorf
alle Rechte vorbehalten: Eugenie Haunhorst 2006

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