Änneken
Kuntze (Anna Maria)
* 27.April 1896 in Warendorf
+ 13. April 1973 in Warendorf
Lilli Kuntze
(Maria Elisabeth)
* 20. Juli 1904 in Warendorf
+ 18.Sept.1980 in Warendorf
Bild rechts: Kaufhaus Kuntze
Hier setzte die Warendorfer Jugend ihr Taschengeld in Schwabbel,
Mohrenköppe, Brausepulver und andere Köstlichkeiten um.
Nach dem Tod ihres Vaters übernahm Anfang der 1920er Jahre
Anna Kuntze, von allen nur Änneken genannt, das „Kaufhaus Friedrich
Kuntze“. Nach dem Tod der Mutter wurde auch ihre Schwester Lilli im
Geschäft tätig. Sie war bislang Kinderpflegerin im Haus des
Oberregierungsrates Freiherr von Thielmann gewesen. Jetzt wurde ihre
Hilfe zu Hause gebraucht, denn ihre Schwester Änneken hatte zwar die
Herstellung der Holzschuhe eingestellt, dafür aber das Sortiment
erheblich erweitert. Ihr „erstklassiges Geschäft“, das betonte sie immer
gerne, wurde mit Sparsamkeit und Schuldenfreiheit betrieben. Auch wenn
ihr Lädchen eher ein Kramladen war, so legte Änneken stets Wert auf Stil und
Eleganz - nie wäre sie ohne ihre Pelzjacke ins Geschäft gegangen.
Änneken Kuntze | Lilli Kuntze |
Samstags um 14 Uhr schlossen die Schwestern den Laden, machten sich
besonders schick und fuhren mit dem Zug nach Münster, um dort im
vornehmen Café Schucan am Prinzipalmarkt bei einem dicken Stück Torte
und einer guten Tasse Bohnenkaffe alle Zeitungen von vorne bis hinten zu
lesen.
Ja, die beiden recht eigenwilligen Damen hatten Stil und sie hatten
ihre Prinzipien. Jedes Jahr im August bekam die Fassade des
liebenswerten Fachwerkhauses einen frischen Anstrich, sie wollten dazu
beitragen, dass Warendorf sich zum Heimatfest Mariä Himmelfahrt in
voller Pracht präsentierte. Die beiden Schwestern waren fest davon
überzeugt, dass sie das schönste Geschäft auf der ganzen Emsstraße
führten.
Bei „Änneken“ war alles zu bekommen, was das Herz begehrte, vom
Stopfpilz und dem neuen Besen und Modeschmuck für die Mutter bis zur
Wundertüte mit Kaugummi und Fußballbildern für die Kinder. Natürlich gab
es auch Bömse, Judenspeck und gebrochene Schokolade für 10 Pfennig für
die kleinen Schleckermäulchen. Und wenn der Vater eine neue
Lederaktentasche brauchte, Änneken fand eine in ihrem Sortiment, ein
bisschen gebraucht vielleicht, aber doch recht repräsentativ für einen
solch vornehmen Herrn, davon überzeugte Änneken ihren Kunden mit ihrer
außerordentlichen Geschäftstüchtigkeit sehr schnell - und der Kunde war
glücklich. Es konnte auch vorkommen, dass ein Kind Streichhölzer kaufen
sollte, die aber gerade ausgegangen waren und stattdessen mit einem
ledernen Kofferanhänger nach Hause kam. Wenn Mutter mit dieser
Investition nicht einverstanden war, nahm Änneken das unerwünschte Stück
anstandslos zurück.
Ein wirkliches Wunderland wurde das Lädchen zu Karneval. Nirgendwo
in Warendorf konnte man lustigere Hüte, Masken und Kostümzubehör kaufen
- bei Änneken gab`s etwas für jeden Geschmack, dazu Konfetti,
Luftschlangen, Karnevalskracher und die beliebten Stinkbomben und
Juckpulver. Ein wahres Kindereldorado!
Zu Silvester bekamen hier natürlich auch die Kinder Raketen und
Knallfrösche - alles ohne Ausweis oder Altersangabe. Dafür hätten die
Damen Kuntze kein Verständnis gehabt. Die Kinder sollen doch ihren Spaß
haben!!!
Änneken beriet ihre Kunden charmant und kreativ - aber die
Kasse musste immer stimmen. In Windeseile hatte sie die Preise von all
dem Kleinkram zusammengerechnet und es gelang ihr fast immer, den Betrag
nach oben „abzurunden“, indem sie die erstandenen Schätze als ganz
besonderes Schnäppchen deklarierte. Die Kinder akzeptierten das willig,
denn in der Zwischen-zeit hatten sie ein paar Bömse stibitzt, ohne von
Änneken Protest zu bekommen. So stimmte die Kasse dann wieder.
Ja, Änneken und ihre Schwester Lilli machten das Kinderleben
in der Kleinstadt spannend, man betuppte sich gegenseitig, so entstand
eine Kumpel-Gemeinschaft. In Ännekens Laden konnten die Lausbuben
klönen, sich dicke tun und nebenbei ein paar Negerküsse verdrücken.
Hatte der Junge so gar keinen „Zug nach Hause“, ging Änneken in die
Küche und ließ das Leckermaul mit dem Turm von Mohrenköppen auf der
Theke allein. Sehr gefährlich, denn ein Negerkuss nach dem anderen
verschwand im hungrigen Knabenmagen. Und wenn Änneken dann fragte, wie
viele er denn bezahlen müsste, sagte er kleinlaut: „Zwei!“ und Beide
wussten, dass es mindestens zehn gewesen waren. Bei der nächsten Beichte
konnte man diesen Schwindel natürlich nicht verschweigen und bekam vom
Pastor mit dem obligatorische „Buß-Vater-unser“ die Auflage, den Schaden
wieder gut zu machen. Also setzte der Knabe sich beim nächsten Mal
wieder neben die Mohrenköppe, aß in Abwesenheit der Ladenbesitzerin
langsam und bedächtig zwei schwarze Köstlichkeiten und als Änneken aus
der Küche kam und wissen wollte, wie viele es denn diesmal waren,
antwortete er „Zehn“, und die Welt war wieder in Ordnung.
Manchmal schlugen die jungen Kunden auch über die Stränge, nahmen
eine Stinkbombe in die Hand und fragten nach dem Preis. Wenn Änneken
dann 10 Pfennig verlangte, sagten sie „zu teuer“ und Änneken ging
herunter auf 5 Pfennig. „Auch noch zu teuer!“ Da Änneken ihre Jungs
kannte, sagte sie „Gut, dann nehmt sie so mit!“. Böse wurde sie
allerdings, wenn schon im Geschäft die kleine Glaskugel fallen gelassen
wurde und einen bestialischen Gestank verbreitete. Dann holte sie den
Besenstil aus der Ecke und jagte die Lümmels aus dem Laden.
Ein Schülerleben war auch früher nicht immer leicht, oft gab es
Sorgen und Verdruss. Hatte man mal wieder eine Fünf in Latein und traute
sich damit nicht zu den gestrengen Eltern, dann war Ännekens Laden eine
Oase, um Seelentrost zu finden bei einem Stück Schwabbelspeck und dem
beruhigenden Zuspruch, dass hier so mancher, der heute ein feiner Herr
ist, schon mit den gleichen Sorgen gesessen hat.
Als Töchter einer streng katholischen Familie, die mehrere Geistliche
in ihrem Stammbaum nachweisen konnte, hatten die beiden Schwestern ein
sehr persönliches Verhältnis zu ihrem Herrgott. Jeden Morgen um 7 Uhr
besuchten sie die Frühmesse in der Laurentiuskirche. Pünktlich kamen sie
zwar nie, aber bis zur Wandlung waren sie immer da. Auf dem Rückweg
kauften sie beim Bäcker Brötchen, um gut gestärkt den Abenteuern des
neuen Tages entgegen zu treten.
Weder Änneken noch Lilli hatten jemals an Heirat gedacht, denn „das
kann ja jeder dumme Junge!!“ Im Krieg nahm Änneken Dieter Hülsmann als
Pflegesohn zu sich, den sie mit ihrer Schwester zusammen liebevoll und
großzügig aufzog, ihm eine gute Ausbildung angedeihen ließ, sodass er
später ein angesehener Arzt wurde.
Änneken verstarb schon 1973 kurz vor ihrem 77. Geburtstag. In
gewohnter Weise führte Lilli das Kinderparadies weiter. Auch bei ihr
schoben die kleinen Lausbuben ihren Taschengeldgroschen über die
gläserne Theke, um stolz das Juckpulver oder die Knallfrösche in der
Hosentasche verschwinden zu lassen. Auch der Stapel mit den Holzschuhen
stand weiterhin vor der Ladentür und so mancher kletterte mit Lilli über
die Leiter auf den Dachboden, um sich aus den „Kaschotts“, in denen die
Holsken schön nach Größe geordnet lagerten, Holzschuhe für den Garten
oder gar für Karneval auszusuchen.
Am
18. September 1980 starb dann auch Lilli im Alter von fast 76 Jahren.
Die Tür des Kramladens bleibt nun geschlossen, für solch ein aus der
Zeit gefallenes Lädchen gab es keinen Nachfolger. Viele Warendorfer
bedauerten diesen Zeitenwandel - Warendorf war ärmer geworden. Änneken und Lilli aber sind nicht vergessen, sie leben
weiter in den Erinnerungen und Erzählungen. Bei Klassentreffen werden zu
vorgerückter Stunde gern Dönekes über die beiden Originale
erzählt, und so mancher honorige Amtsgerichtsrat gesteht, dass auch er
damals heimlich einen Mohrenkopp knuwte und leider das Bezahlen
vergessen hat.
Auch bei der „TheaterZeitReise“ durch 800 Jahre Warendorfer
Stadtgeschichte zum Jubiläum im Jahr 2000 durfte „Änneken“ nicht fehlen
und feierte, liebevoll dargestellt von Maria Kleickmann, ein fröhliches
Wiedersehen mit ihren Warendorfern.
Ja, die beiden Schwestern hatten schon zu Lebzeiten
Kult-Status.
Nicht von ungefähr gab es den Spruch:
Wer Änneken nicht kennt,
der hat seine Jugend verpennt!
Quellen:
Erzählungen von Zeitzeugen, insbesondere von den damaligen
„Jeustern“, die so gerne bei Änneken an der Theke saßen.
Bücher:
Jörg Heimann: An`e Ems und auf Straße 1983
Klaus Schäffer: „Kaufhaus Kuntze“ in: Als die Pommes nach
Warendorf kamen 1999
Zeitungsberichte:
Thomas Schunck: „Kaufhaus Kuntze - Warendorf“ Gespräch
mit Frau Elisabeth Kuntze Juni 1980
19. 9. 1980 „Die Glocke“: Die Tür des alten Kramlädchens an der
Emsstraße 5 bleibt jetzt verschlossen
30.1.1982 „Münstersche Zeitung“: Erben gesucht: Ein Stück
Warendorfer Vergangenheit steht ohne Zukunft da
9.2.1982 „Die Glocke“: Dieter Schnettler: Es steht ein Häuschen
in der Stadt, und niemand kann`s zur Zeit haben
11.3.1983 „Die Glocke“: Kaufhaus Kuntze steht nicht mehr lange
leer
Heinrich Blum, von allen "Mister Blum" genannt
Franz Joseph
Zumloh, der Begründer des Josephshospitals
Maria Anna
Katzenberger und Heinrich Ostermann
Hermann Josef
Brinkhaus,
Gründer der Firma Brinkhaus
Eduard
Wiemann und die Villa Sophia
Anna
Franziska Lüninghaus, Gründerin der Marienstiftung
Wilhelm
Zuhorn, Geheimer Justizrat und Geschichtsforscher
Bernard
Overberg, der Lehrer der Lehrer
Arthur
Rosenstengel, Seminarlehrer, Musikerzieher und Komponist
Pauline
Hentze, Begründerin der Höheren Töchterschule
Franz
Strumann, Pastor und Förderer der höheren Mädchenbildung
Dr. Maria
Moormann, die mutige Direktorin der Marienschule
Josef Pelster,
der Schulrat und Naturfreund
Wilhelm
Diederich, Bürgermeister von 1869-1904
Hugo
Ewringmann, Bürgermeister von 1904-1924
Theodor
Lepper, Stadtrendant und Retter in den letzten Kriegstagen
Clara Schmidt,
Kämpferin für die Frauenliste im Stadtparlament
Elisabeth
Schwerbrock, eine hochengagierte Stadtverordnete,
Eugenie
Haunhorst, die Kämpferin für ihre Heimatstadt
Paul Spiegel,
Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland
Paul
Schallück, der vergessene Nachkriegsschriftsteller
Heinrich
Friedrichs, ein Warendorfer Künstler
Theo
Sparenberg, Kinokönig und Tanz- und Anstandslehrer
Wilhelm
Veltman, Retter der historischen Altstadt
Rainer. A. Krewerth, ein schreibender Heimatfreund
Prof. Dr. Alfons
Egen
ein begnadeter Lehrer und Heimatfreund
Änneken Kuntze und ihre Schwester Lilli
Elisabeth Schwerbrock, Stadtverordnete in Warendorf
Anni Cohen und ihre Familie - von Warendorf nach Südafrika und Palästina
Eduard Elsberg erbaute das erste große Kaufhaus in Warendorf