Mit der Wahl Adolf Hitlers kamen schwere Zeiten auf die Firma
zu. In der 1934 erlassenen Faserstoffverordnung wurde die Beimischung
von Zellwolle angeordnet. Das Wirtschaftssystem der Nationalsozialisten
machte es der Textilindustrie immer schwerer, die hochwertige Baumwolle
aus den USA und Ägypten einzuführen. Notgedrungen stieg man auf
Zellwolle um. Auch für die aufwändige Türkisch-Rot-Färberei fehlten die
Rohstoffe. Aber Not macht erfinderisch! Das von den IG-Farben
entwickelte Indra-Rot erwies sich als lichtechter und leichter
herzustellen.
Die
Autarkiebestrebungen und Devisenbeschränkungen der Nationalsozialisten
wurden ein gefährlicher Hemmschuh für die Textilindustrie und
versprachen für die Zukunft nichts Gutes.
Mit der Einführung der allgemeinen Wehrplicht wurden dem
Betrieb wichtige Fachkräfte entzogen. Dieser Aderlass konnte kaum
kompensiert werden. Die wöchentlichen Arbeitsstunden wurden auf 28
herabgesetzt. Die doppelverdienenden Ehefrauen mussten laut Anordnung
entlassen werden, genau so die Alten. Ein schmerzlicher Aderlass
erfahrener Arbeitskräfte. 1936 sank die Belegschaft von 700 auf 500
Mitarbeiter.
Trotz
der schwierigen Geschäftslage, oder vielleicht gerade deswegen,
formierte sich 1934 aus der Belegschaft heraus mit einem Trommler- und
Pfeiferkorps eine 36 Mann starke Werkskapelle, die von dem
kaufmännischen Angestellten Josef Brockamp geleitet wurde. Sie wurde ein
wichtiger Teil der Betriebsgemeinschaft, die bei Betriebsfest, Jubiläen
und Festlichkeiten für die richtige Stimmung sorgte.
Der
2. Weltkrieg war eine Zeit härtester Prüfung. Mit vielen
Werksangehörigen teilte Hermann Josef Brinkhaus das Schicksal, schon im
September 1939 als aktiver Soldat an die Front ziehen zu müssen. Sein
Vetter Hermann Gustav hielt die Stellung in der Geschäftsleitung. Er
wurde am 2. Dezember 1939 Prokurist der Firma. Wegen der schweren
Erkrankung seines Vaters Fritz Brinkhaus musste er während des Krieges
und in den ersten Nachkriegsjahren die Verantwortung für die Firma
allein tragen. Dabei kamen ihm seine gründliche berufliche Ausbildung
und sein betriebswirtschaftliches Talent gut zustatten. Nach seinem
Abitur hatte er eine dreijährige Ausbildung in führenden
Einzelhandelsgeschäften in Oldenburg und in Berlin absolviert. Am
Technikum für Textilindustrie in Reutlingen studierte er zwei Semester,
in einer englischen Textilmaschinenfirma und in Bielefeld sammelte er
Erfahrungen im technischen Bereich. Seit 1933 hat er eine gründliche
Ausbildung in allen Abteilungen der Firma Brinkhaus durchlaufen. Nun
stand er vor einer äußerst schwierigen Situation. Für die Weiterführung
des Betriebes standen ihm nur wenige berufserfahrene Mitarbeiter zur
Verfügung. Im Stammwerk in Warendorf liefen noch 60 Stühle, das Werk in
Sassenberg stand schon seit Oktober 1939 still, das Freckenhorster Werk
wurde erst am 15. Mai 1942 stillgelegt und beschlagnahmt.
Inlett wurde nur noch in mäßigem Umfang herstellt und auch das
nur aus reiner Zellwolle und in der vom Reich vorgeschriebenen
Einheitsqualität. Das Fabrikationsprogram beschränkte sich bald auf
Zeltbahnstoffe und Tarnstoffe für die Wehrmacht. Im Frühjahr 1944
sollten behelfsmäßige Volksgasmasken hergestellt werden, was aber wegen
der Zerstörung der vorgeschalteten Zulieferfirmen nicht mehr zum Tragen
kam.
Trotz der zwangsweisen Einquartierung fremder Firmen auf den
Firmengeländen, die zum Teil erst 1949 herausgeklagt werden konnten,
hielten sich die Kriegsschäden in Grenzen. Völlig sinnlos wurde Ostern
1945 kurz vor dem Einmarsch der Alliierten die benachbarte Emsbrücke
gesprengt. Dabei gingen fast alle Glasscheiben im Stammwerk zu Bruch.
Kurz darauf besetzten die Amerikaner den Betrieb in Warendorf, während
Sassenberg und Freckenhorst verschont blieb. In den ersten wirren
Nachkriegstagen wurde der Warendorfer Betrieb von Fremdarbeitern,
befreiten Kriegsgefangenen, aber auch von Bewohnern der Stadt
geplündert. Den Rest der geretteten Fertigwaren beschlagnahmten die
Besatzer! Viele Jahre lang wurden die Privathäuser der Firmeninhaber und
die Betriebswohnungen beschlagnahmt, der Betrieb durfte nicht betreten
werden.
Nach sechs Wochen räumten die Besatzer die Firma und die
Instandsetzungsarbeiten konnten beginnen. Mit 30 alten, erfahrenen
Webern startete der Neubeginn, der am 6. August durch das „Permit to
Re-Open“ der Geschäftsleitung die Möglichkeit gab, Inlett,
Matratzendrell und Bettwäsche zu weben. Es durfte aber nur nachts von 9
Uhr abends bis 5 Uhr morgens gearbeitet werden, damit der Nachtstrom
ausgenutzt wurde. Wegen der Ausgangssperre durfte die Belegschaft das
Betriebsgelände nachts aber nicht verlassen. Ab dem 19. September 1945
durfte das Telefon für Ortsgespräche wieder benutzt werden. Erst ab Juli
1947 konnten Ferngespräche oder Auslandsgespräche geführt werden und
Auslandstelegramme aufgegeben werden.
Das größte Problem aber stellte die unzureichende Versorgung
mit Kohle und Baumwollgarn dar. Da die hochwertige Baumwolle für Inlett
ganz fehlte, webte man Zellwoll-Inlett, Nesselgewebe, Blauköper,
Hemdentuche etc. Viel Zeit und Energie musste aufgewendet werden für das
Ausfüllen der Bezugscheine, der endlosen Fragebögen und Meldeformulare
und der Beachtung der behördlichen Vorschriften. Einen nicht zu
unterschätzenden Vorteil in dem Dschungel der wenig zugängigen deutschen
Behörden und englischen Verwaltungsstellen war die Tatsache, dass in den
ersten Nachkriegsjahren sowohl die Regierungsbehörde als auch das
Landeswirtschaftsamt seinen Sitz in Warendorf hatte.
Als
hätte sich alles gegen Warendorf verschworen, brachte die Ems im Februar
1946 die größte Überschwemmung aller Zeiten. Die Firma Brinkhaus als
direkter Anlieger hatte riesige Schäden, der Websaal, die Büros, alles
stand 80 cm unter Wasser. Es dauerte sechs Wochen lang, ehe die
Produktion wieder beginnen konnte.
In dieser schwierigen Zeit starb am 6. März 1946 der
Seniorchef Fritz Brinkhaus nach langem Leiden im Alter von 71 Jahren. 40
Jahre lang war er ein verdienstvolles, allseits beliebtes und geachtetes
Mitglied der Geschäftsleitung gewesen. das Wohlergehen seiner
Belegschaft hatte für ihn immer einen hohen Stellenwert. Da Haus Bleiche
noch von der Besatzungsmacht belegt war, wurde er im Konferenzzimmer der
Firma aufgebahrt. An dem Trauerzug nahmen neben den zahlreichen
Familienangehörigen und der gesamten Belegschaft, die damals aber noch
unter 100 Mitarbeiter zählte auch viele Warendorfer Bürger teil.
Auswärtige Trauergäste und Geschäftsfreunde fehlten allerdings ganz
wegen der schwierigen Transportsituation. Auch Hermann Josef Brinkhaus
konnte nicht an der Beisetzung teilnehmen. Er war im September 1945 im
Zuge einer automatischen Verhaftungswelle von den Siegermächten
verhaftet worden und ins Zuchthaus nach Münster verschleppt worden.
Seine Teilnahme am Kriegsgeschehen als Offizier wurde ihm zum
Verhängnis. Erst nach 18 monatiger Internierungshaft wurde er im März
1947 wieder entlassen. Seine Pläne für den Wiederaufbau und Ausbau des
Werkes haben ihn in dieser schwierigen Zeit aufrechterhalten.
In
seiner Abwesenheit übernahm sein Bruder Hermann Bernhard (genannt
Käpten) Brinkhaus, der zweite Sohn des ehemaligen Seniorchefs Bernhard
Brinkhaus, die Verantwortung in der Geschäftsführung. Nach seiner
aktiven Zeit als Seeoffizier war er 1923 in die Firma eingetreten und
hatte als Vertreter im Münsterland und im Ruhrgebiet für gute Umsätze
gesorgt. An seinem Geburtstag am 19. April 1947 trat er als Prokurist in
die Geschäftsleitung ein.
Der bisherige Prokurist Hermann Gustav Brinkhaus
wurde in der Nachfolge seines Vaters Fritz Brinkhaus geschäftsführender
Gesellschafter. 1947 konnte Brinkhaus sein Spitzenprodukt Inlett wieder
in bewährter Qualität herstellen. Für Exportverpflichtungen nach
England, in die USA und die Türkei bekam man die hochwertige Baumwolle.
Allmählich konnte auch die Inlandserzeugung davon profitieren. Das war
dringend notwendig, denn der Nachholbedarf war riesig. Die
kriegsbedingten Verluste waren erheblich, dazu kamen die vielen
Flüchtlinge und Vertriebenen, die sich ganz neu einrichten mussten.
Mit dem Ende des Krieges 1945 waren die deutschen Ostgebiete,
insbesondere das Textilzentrum Schlesien weggebrochen. Die
Textilindustrie hatte dadurch 60% ihrer früheren Kapazität eingebüßt. So
ist es nicht verwunderlich, dass die Firma Brinkhaus zum Branchenführer
in Deutschland und der Welt aufstieg.
Die Nachfrage nach dem beliebten Produkt Inlett überstieg das
Angebot bei Weitem. Mit aller Kraft arbeitete die Firma Brinkhaus am
Wiederaufbau der drei Werke. Nicht nur viele alte Betriebsangehörige
bekamen wieder Arbeit, auch Hunderte Heimatvertriebene wurden in die
Belegschaft aufgenommen. Die schlesischen Fachkräfte waren ein
Glücksfall für diese schwierigen Aufbaujahre.
Ernst
Rackwitz aus Halbau in Schlesien trat im November 1947 als technischer
Leiter in das Unternehmen ein. 1949 war er der erste Familienfremde, der
Prokura bekam. Er hat viele Jahrzehnte das Unternehmen entscheidend mit
geprägt. Entscheidend für die Fortentwicklung war die Währungsreform am
21. Juni 1948 und damit der Übergang in die freie Marktwirtschaft. Die
Arbeit lohnte sich wieder und Produktionsmöglichkeiten konnten voll
ausgenutzt werden. Die Waren gingen direkt nach der Produktion in den
Verkauf und wurden innerhalb weniger Tage bezahlt. Es ging mit
Riesenschritten aufwärts!
1949 trat Hermann Dieter Brinkhaus, der Sohn des Seniorchefs
Hermann Josef, in die Firma ein. Nach zweijähriger Vertretertätigkeit
kam er ins Stammwerk
nach
Warendorf. Auf dem Lande war das Potential an Arbeitskräften noch groß,
die für die Textilindustrie gewonnen werden konnten.
Schon 1950 waren die Aufbau- und
Instandsetzungsarbeiten im Stammwerk und auch in Freckenhorst und
Sassenberg abgeschlossen. Ein Drittel der Gesamt-Inlett-Fabrikation der
jungen Bundesrepublik kam nun aus Warendorf und Umgebung, dem größten
Inlett-Zentrum Deutschlands. Das war Anlass genug, jetzt auch eine
Werkzeitung heraus zu geben, die „Ketting und Einschlag“ genannt wurde.
Sie ist für uns heute eine wahre Fundgrube!
Auch am äußeren Erscheinungsbild wurde 1951 gearbeitet. Der
wachsende Umsatz erforderte eine größere LKW Flotte, die Garagen
brauchten. Entlang der Straße Zwischen den Emsbrücken erbaute der
bekannte münsteraner Baumeister Heinrich Bartmann ein Garagenhaus mit
einem liebenswerten Pförtnerhäuschen. Zur Straßenseite vermittelt das
Gebäude den Eindruck eines Wohnhauses, die rückwärtige Front ist durch
die großen Garagentore geprägt. So gelang es der Firma Brinkhaus, den
„Charakter der Stadt zu wahren, ohne neuzeitliche Entwicklungen aus den
Augen zu verlieren.“
„Ketting und Einschlag“ 1950-1963 Werkzeitung der
Inlettwebereien
H. Brinkhaus Warendorf, Sassenberg, Freckenhorst
Paul Leidinger: Hermann Josef Brinkhaus (1819-1885) und die
Anfänge der Industrialisierung in Warendorf Verlag Aschendorff
Münster 1996
Chronik der Familie Ostermann
Hermann Josef Brinkhaus und Dr. Paul Casser:
„Vom Werden und Wachsen der Brinkhaus Inlettwebereien“
Warendorf 1991
Mechtild Wolff 2013