Erlebte Geschichte in Warendorf
Der Stadtbauernhof Kalthoff
von Eugenie Haunhorst

Eugenie als Schülerin 1921Am Münsterwall neben der Neuen Kirche stand seit Urzeiten der Bauernhof Kalthoff. Er war einer der Urhöfe der Stadt - wie auch der Mühlenhof und der Hof Schulze Zumloh. Das Kloster Freckenhorst besaß um die Wende des ersten Jahrtausends in der Gegend der heutigen Stadt Warendorf einen Bauernhof. Das Land am Hellegraben mit der Nutzung für Vieh und Ackerbau, dazu die Katzheide als Weide und zum Plaggenstich bildeten die Grundlage für den Hof Kalthoff. Zuerst lag der Hof einsam im Münsterfeld am Hellegraben. In den unruhigen Zeiten um 1400 suchten die Bewohner Schutz in Warendorf, innerhalb der Stadtmauer, geschützt von Wall und Graben.Heimatverein Warendorf: Münstertor mit Bauernhof Kalthoff um 1950 Der Bauer Kalthoff übersiedelte in die Nähe des Münstertores und der Marienkirche, im Volksmund „Neuen Kirche“ genannt.

Der Inhaber des Hofes Kalthoff war der Abtei Freckenhorst eigenhörig und hatte, wie auch Schulze Zumloh, nur die Rechte eines "Einwohners" der Stadt. Er hatte jährliche Abgaben an das Kloster in Freckenhorst zu leisten. Dem Waisenhaus zu Warendorf musste er einen Taler und der Kirche Freckenhorst vier Schillinge zahlen. Infolge der napoleonischen Gesetzgebung ab1803 wurde der Kolon Kalthoff freier Eigentümer, genau so der Stadtbauer Schulze Zumloh. Sie waren jetzt Bürger der Stadt Warendorf. Am Hellegraben gab es durch die Jahrhunderte eine Scheune, Kalthofs Schafstall genannt. Die letzte Scheune wurde erst nach dem zweiten Weltkrieg abgebrochen. An der Stelle könnte der Urhof gestanden haben.

In der Stadt lagen die Wirtschaftsgebäude mit dem Wohnhaus und den Stallungen. Das große Haus war aus dunkelrotem Klinker gebaut worden. Ich könnte mir denken, dass dieses Bauernhaus nach dem großen Brand 1741 nach und nach aufgebaut wurde. Der große Brand hatte den ganzen Westteil der Stadt mit der Marienkirche vernichtet. Das Haus wurde einstöckig mit einem großen Dachboden errichtet. Für die Lagerung von Heu und Stroh war der große Boden wichtig. Zum Münsterwall hin gab es das große Deelentor und ein zweites großes Tor. Dazwischen waren die kleinen Fenster des Kuhstalles.

Die Haustür lag an der Nordseite zum Kirchplatz. Die große Küche reichte quer durch das Haus bis zu einem kleinen Innenhof. Über eine kleine Treppe gelangte man zu dem Schlafraum der Eltern, mit schönem Blick auf die Neue Kirche. Eine kleine Kammer daneben mit einem Alkoven oder Durk (einem eingebauten Bett für 2 Personen mit einem Vorhang) hatte ein ganz kleines Fenster zu der dunklen Gasse von Schuster Niemann. Hier schliefen die kleinen Kinder. Eine zweite Treppe am anderen Ende der Küche führte zu einem Schlafzimmer mit Fenstern zum Hof. Der Küchenboden war mit großen, uralten Steinplatten belegt. Zum Wochenende wurden die Steine geschrubbt und mit weißem Sand bestreut. Am Sonntag morgen wurde der Sand aufgefegt.

Ein großes Herdfeuer war die Zierde der Küche. In dem Rauchfang, damals Bosen genannt, hingen, wie in allen Bauernhäusern, Würste, Schinken und Speck, die übliche Vorratswirtschaft früherer Zeit. Eine gusseiserne Platte mit einem biblischen Motiv musste durch Jahrhunderte die Hitze des Feuers aushalten. Blank geputzte Messingtüren vor kleinen Fächern schmückten die Wand des Herdfeuers. An einem großen, verstellbaren Haken (Haal oder Hale genannt) hing ein großer, mit Wasser gefüllter Eisentopf. Vor allem im Winter, wenn man die Herdfeuerwärme brauchte, gab es immer heißes Wasser. Auf der anderen Seite des großen Raumes stand ein hoher, alter Küchenschrank. Er hatte in der Mitte eine große Klappe, Brotklappe genannt. Die hohe Standuhr mit ihrem lauten Ticken gehörte zur Bauernküche. In der Mitte des Raumes stand der große Holztisch, an dem alle Mahlzeiten eingenommen wurden.

Heimatverein Warendorf: Stadtbauernhof Kalthoff um 1920Neben der Tür zum Hof befand sich der Steinspülstein, natürlich aus einem Sandsteinblock gehauen. Mit der Wasserpumpe aus Messing und Kupfer wurde das Wasser aus der Erde gepumpt. In dieser Ecke der Küche stand auch der Herd, der Arbeitsmittelpunkt der Hausfrau. Natürlich führte eine Tür in den Keller, er war groß und lang und auch im Sommer kühl, hier wurden Vorräte gelagert. Kühlschränke waren noch nicht erfunden. Über den Kellerräumen lagen die Upkammern, die als Schlafräume genutzt wurden.Mit wenigen Schritten erreichte man von der Küchentür durch den kleinen Innenhof die Tür mit dem eingeschnitzten Herzchen. Der kurze Weg war mit Steinplatten belegt. Diese Plumsklos wurden immer außerhalb der Häuser angelegt, wegen der Geruchsbelästigung und der Fliegen.

In der hinteren Ecke des Hofes bildete ein grünes Dach von Jasmin und Goldregeneine Laube. Den Duft des blühenden Jasmins werde ich nicht vergessen. Wollte man diesen bescheidenen Ruheplatz nutzen, holte man sich einen Brettstuhl aus der Küche. In den zwanziger Jahren leistete man sich noch keine Gartenstühle. Durch ein ovales Fensterchen in der Küchentür zur Deele konnte man die Tenne, aber auch die Deelentür zum Münsterwall hin überblicken.

Die Tenne war so groß, dass ein hoch beladener Heu- oder Erntewagen darauf Platz hatte. Wenn der Erntewagen eingefahren war, gab es für das Pferd kein zurück mehr. Der Bauer musste das Pferd (es gab nur ein Pferd) durch die Küchentür, die Küche und durch die Haustür auf die Straße führen. Bauer Kalthoff benötigte dazu starke Männer zur Hilfe. Der Kopf des Pferdes musste nämlich heruntergezogen werden, damit das Tier durch die Türrahmen passte. Das war ein schwieriges, für uns Kinder aber höchst interessantes Unterfangen. Auf der Deele war an der Nordseite der Pferdestall, auf der anderen Seite an einem Mittelgang die Kuh- und Schweineställe. Über den Kuhställen war die Hille, ein knapp mannshohes Gelass für Vorräte.

Es gab auch eine Viehfutter- und Waschküche. Hier wurde der Schweinepott gekocht.  Bauer Kalthoff war unser Nachbar. Wir wohnten auf der gegenüber liegenden Seite des Münsterwalls in der Münsterwallschule. So erlebten wir in unseren Kinderjahren die Arbeit des landwirtschaftlichen Jahresablaufs. Wir spielten viel bei Kalthoffs und kannten uns auf dem ganzen Bauernhof gut aus.

Auf dem Dachboden gab es eine offene Luke, eine Gefahrenquelle, vor der wir Kinder eindringlich gewarnt wurden. Zur Abschreckung wurden uns die Geschichten von Kindern erzählt, die dort zu Tode gestürzt waren. Fast täglich holten wir bei Kalthoffs unsere Milch. Dabei ließen wir oft die Haustür hinter uns offen. Ich höre heute noch den Ruf von Frau Kalthoff: "Na, habt ihr zu Haus Säcke vor den Türen?" So konnte man auch erzogen werden.

Auf Kalthoffs Bauernhof wurde harte Arbeit getan. Eine veränderte Zeit brachte auch für die Familie Evermann-Kalthoff andere Bedingungen. Der Stadtbauernhof wurde in den 60er Jahren aufgegeben, die Familie zog in ein neues Haus am Hellegraben.  Das alte Gemäuer hatte seine Dienste getan und wurde 1972 abgerissen.

Die Autorin Eugenie Haunhorst geb. Göcke wurde 1912 in Warendorf geboren und wuchs in einer Lehrerfamilie mit vier Geschwistern auf. Im Alter von 90 Jahren begann sie, Erinnerungen aus ihrem Leben im Warendorf der 1920er Jahre aufzuschreiben. Sie starb 2016 im Alter von 103 Jahren.


Bilder: Archiv der Altstadtfreunde (1)
Familie Evermann Kalthoff (1)
alle Rechte vorbehalten: Eugenie Haunhorst 2006

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